Besuch aus der Vergangenheit

Wir haben Luxusprobleme, die uns vom Glück fernhalten

Jammerst du gern, wie schlecht es dir geht? Morgens hat die Bahn Verspätung. Dann kriegst du keinen Sitzplatz. Die Kolleginnen nerven dich. Die Kunden sind einfach nur furchtbar? Das Mittagessen schmeckt nicht. Später beim Einkaufen gibt es im Regal deine Cornflakessorte nicht. Abends quengeln die Kinder und beschweren sich über das Essen. Sie wollen lieber Nutella. Du sitzt abgeschafft vor dem Fernseher, schaust Tagesschau und denkst nur: „Ja. Die Welt ist schlecht. Und ich bin mittendrin. Früher war es bestimmt besser. Da waren die Menschen noch nicht so orientierungslos und voller Hass. Da hat man noch Rücksicht genommen. Da kannte man noch Höflichkeit.“

Plötzlich, du sitzt immer noch auf deinem Sofa, siehst du einen grellen Lichtblitz und vor dir steht eine Frau. Sie hat eine seltsame Frisur und komische Kleidung an. „Wer sind Sie?“ fragst du die Fremde in deinem Wohnzimmer. „Ich bin deine Urururururgroßmutter, mit noch ein paar „ur“…“, antwortet sie dir. „Ich habe gehört, du wertschätzt dein Leben hier im Luxus nicht.“ „Wie bitte? Ich lebe doch nicht im Luxus. Ich muss aufpassen, dass ich mein Konto nicht überziehe.“, entgegnest du deiner Vorfahrin und denkst gleichzeitig: „Wie ist die denn hergekommen???“ „Ich habe 1319 gelebt und was ich hier sehe, ist Luxus.“, sagt deine Ahnin. „Du hast eine große Wohnung. Du hast ein Dach über dem Kopf, eine Heizung, fließendes Wasser, genug zu essen. Du kaufst im Supermarkt ein oder lässt dir Waren bequem nach Hause liefern. Deine Waschmaschine wäscht völlig automatisch deine Wäsche. Du musst nicht mühsam deine Wäsche am Fluss oder Trog waschen und brauchst einen ganzen Tag dafür. Du musst keine Angst vor Fieber haben. Du hast kein Kind verloren, weil es noch keine Impfung gab oder Hunger. Es gibt eine ärztliche Versorgung und Krankenhäuser. Bei mir im Mittelalter waren die Straßen nicht gepflastert. Ich musste durch Schlamm und Staub laufen. Toiletten, Abwasserkanäle und Müllabfuhr gab es nicht. Die Leute haben sich wüst beschimpft, in Fehden und Kriegen abgeschlachtet und kippten ihren Unrat auf andere. Also, erzähl du mir nicht, du lebst hier nicht im Luxus. Hast du jemals Wertschätzung und Dankbarkeit dafür empfunden?“

„Aber das ist doch selbstverständlich, dass wir diese Versorgung mit allem haben. Das ist die moderne Zivilisation!“, antwortest du. „Nein. Nichts ist selbstverständlich.“, sagt plötzlich eine zweite Stimme. „Wie viele kommen da noch?“, fragst du dich, denn eine zweite Frau steht nun auch noch in deinem Wohnzimmer. „Ich bin deine Uroma aus dem Jahr 1919. Ich war eine junge Mutter als der Zweite Weltkrieg ausbrach.“, erklärt diese zweite Fremde. „Mein Mann musste im Krieg kämpfen. Ich wusste nicht, ob wir uns wiedersehen. Ich rannte mit den Kindern bei Bombenalarm in den Bunker und wir hatten Angst um unser Leben. Steht unser Haus noch? Leben unsere Verwandten und Freunde noch? Das wussten wir alle nicht, als die Bomben fielen. Woher kommt unsere nächste Mahlzeit? Werde ich alle satt kriegen? Gibt es genug warme Sachen zum Anziehen? Schuhe? Du rennst doch heute höchstens nach der Straßenbahn und nicht um dein Leben. Du überlegst vor übervollen Supermarktregalen, was du heute kochen sollst und kannst dich vor lauter Vielfalt nicht entscheiden. Du hast einen vollgestopften Kleiderschrank und doch nichts zum Anziehen und weißt nicht mehr wohin mit deinen ganzen Schuhen, die du nie anziehst. Weißt du diesen Luxus zu schätzen? Ich würde jeden Tag dankbar aufstehen, wenn ich damals solche Möglichkeiten gehabt hätte.“

Deine Mittelalter-Uroma sagt: „Alles, was du kannst, ist Jammern und Meckern. Du willst immer das, was du nicht hast und bist daher unzufrieden. Wertschätze doch mal, das alles, was du hast. Jetzt gerade. Dein Leben im Wohlstand und in Gesundheit. Schau nicht auf das, was andere mehr haben als du. Natürlich hast du kein Haus mit Pool und Butler. Du kannst keine teuren Jetset-Reisen machen. Aber auch die, die mehr als du haben, wollen immer mehr. Die sind auch nicht zufrieden und dankbar. Sie vergleichen sich mit denen, die noch reicher sind und meckern und jammern auch, glaub mir. Nur wenn du aufhörst, dich mit anderen Lebensstandards zu vergleichen und endlich für das dankbar bist, was du gerade in diesem Augenblick hast, dann hast du die Chance auf ein glückliches und erfülltes Leben. Vorher nicht.“

Ein Blitz. Dann sitzt du wieder allein da. Hast du dir das alles nur eingebildet? Aber es macht dich nachdenklich. „Vielleicht hatten meine Vorfahrinnen Recht. Ich habe ein sehr gutes Leben und das sollte ich mal anerkennen. Meine Probleme sind wirklich nichts im Vergleich zu deren.“

Meghan Trainor nennt das in einem ihrer Songs „Champagne Problems“. Also, keine richtigen Probleme, sondern Champagnerprobleme. Luxusprobleme.